Dienstag, 30. April 2013

Was ist eigentlich Liebe?

Wir alle benutzen dieses Wort, wir alle schreiben ihm eine große Bedeutung zu, manche betrachten die Liebe sogar als allumfassenden Lebenssinn. Auch in Kultur, Kunst und Literatur handelt geht es meist um das Eine. Doch was meinen wir überhaupt, wenn wir das Wort mit den fünf Buchstaben benutzen? Wenn man sich anschaut, welche Definitionen und Weisheiten an Stammtischen, im Freundeskreis, in diversen Selbsthilfegruppen oder im Internet kursieren, dann kann man nur zu dem Schluss kommen, dass jede_r irgendwie ein bisschen was anderes darunter versteht. Sätze wie: "Wenn..., dann ist es keine wahre Liebe", sind nur die deutlichste Form davon.

Oft höre ich, man solle die Liebe besser nicht näher umschreiben oder definieren, da man ihr sonst die Mystik oder die Romantik nehme. Vollkommener Unsinn. Wenn ich ein Gefühl oder einen Cocktail aus Gefühlen besser nachvollziehen kann, heißt das doch nicht, dass ich deswegen weniger fühle. Im Gegenteil, auf diese Art und Weise kann man unter Umständen sogar viel intensiver fühlen oder negative Bestandteile abschwächen. Was natürlich passieren kann ist eine Desillusionierung. Wer Liebe für etwas "göttliches" hält, könnte damit konfrontiert werden, dass sie vielleicht doch etwas zwischenmenschliches ist - wie schrecklich!

Woher kommt es, dass wir so unterschiedliche Vorstellungen von Liebe haben? Zum einen liegt es natürlich daran, dass Liebe kein Gegenstand ist, den man herzeigen oder aufmalen könnte. Allein das macht die Kommunikation schwierig. Dann kommt hinzu, dass es sich um sehr starke Gefühle handelt, die unterschiedlich interpretiert werden können. Was für den einen schon "Liebe" ist, ist für den anderen vielleicht nur "verliebt sein". Eine eindeutige Grenze wird es wohl nie geben. Doch genau deshalb halte ich es für wichtig, sich damit auseinanderzusetzen. Schon allein um Missverständnissen (und damit unnötigen emotionalen Verletzungen) in Beziehungen oder eventuell entstehenden Beziehungen vorzubeugen.

Viele Alltagsweisheiten haben interessanterweise einen sehr resignativen Charakter. Andere widerum mystifizieren die Liebe, verherrlichen sie bis zum geht nicht mehr. Angeblich soll die Liebe sogar den Tod überwinden. Muss ich erwähnen, dass das Quatsch ist? Nein? Gut! Auch Umschreibungen wie "Liebe ist, wenn Treue Spaß macht" (also einen nichtdefinierten Begriff durch einen anderen nichtdefinierten Begriff definieren) bringen uns der Sache kaum näher.

Der Psychologe und "Liebesforscher" Robert Sternberg unterteilt die Liebe in drei mögliche Hauptbestandteile:

1. Die Leidenschaft, die sexuelle Anziehung, die in ihrer stärksten Form als Verliebtheit auftritt. (Bei asexuellen Menschen fällt das Bedürfnis nach Sex weg. Verlieben ist dennoch möglich.)

2. Emotionale Nähe, Vertrauen, Geborgenheit

3. Bindung, also die (meist bewusste) Entscheidung, mit jemandem - in welcher Form auch immer - "zusammen" zu sein.

Aus dem Vorhandensein oder Nicht-Vorhandensein dieser drei Teilaspekte ergeben sich unterschiedliche Formen der Liebe. Verliebtheit und Nähe, aber (noch) keine Bindung? Sternberg spricht hier von romantischer Liebe. Nähe und Bindung, aber keine Leidenschaft? Kameradschaftliche Liebe (stark verwandt mit familiärer Liebe). Nur Bindung, aber sonst gar nichts? Leere Liebe. Alles drei stark vorhanden? Erfüllte Liebe.

Selbstverständlich handelt es sich hierbei nur um eine modellhafte Umschreibung. Meistens treten diese Aspekte natürlich nicht ganz oder gar nicht auf, sondern in zahlreichen Abstufungen der Intensivität. Dennoch ein sehr praxistaugliches Modell. Es beantwortet die heißdiskutierte Frage, inwieweit Sex und Liebe zusammengehören. Die Antwort ist simpel: Sexualität ist natürlich ein Bestandteil romantisch-partnerschaftlicher (erfüllter) Liebe, jedoch besteht Liebe nicht nur aus Sex.

Auch die Frage, ob es grundsätzlich möglich ist, mehrere Menschen gleichzeitig zu lieben (was natürlich nicht heißt, dass dies immer geschieht), sollte keinen Zweifel mehr offen lassen. Kaum jemand würde auf den Gedanken kommen, zu behaupten: "Du kannst entweder deine Mutter oder deinen Vater lieben. Beides gleichzeitig geht nicht." Halt, wirst du jetzt vielleicht einwenden, das ist doch etwas völlig anderes! Wirklich? Ich behaupte einfach mal, dass sowohl Nähe bzw. Vertrauen als auch Bindung (schließlich ist man "verwandt") Bestandteile familiärer Liebe sind. Optimalerweise fehlt die leidenschaftliche Komponente. (Ödipus und Freud lassen wir hier mal außen vor). Die erfüllte Liebe unterscheidet sich also "nur" durch die starke sexuelle Anziehung (bzw. Verliebtheit) von der familären Liebe. Und ausgerechnet der sexuelle Aspekt soll der Grund dafür sein, dass man in dieser Form der Liebe nur einen lieben kann? Ist das nicht eine übertriebene Glorifizierung der Sexualität? Interessanterweise vertreten ausgerechnet die Menschen solche Ansichten, die immer noch das Märchen glauben, dass der nette Hosenwurm in Wirklichkeit etwas ganz böses ist, was man eigentlich nur zur Fortpflanzung rauslassen darf. Dass man mehrere Menschen gleichzeitig sexuell stark anziehend finden kann, dürfte außer Frage stehen.

Vielleicht vermisst du hier Begriffe wie Eifersucht oder Verlustangst. Diese sind genau genommen kein Bestandteil der Liebe, sondern häufige Begleiterscheinungen. Wir werden uns damit natürlich auch noch intensiv auseinandersetzen, worauf wir sie hoffentlich begraben können, um die positiven Seiten der Liebe stärker genießen zu können.

Sonntag, 21. April 2013

Polyamory - Einleitung

Ein Gespenst geht um in den Herzen (und Schlafzimmern) der Menschen - das Gespenst von Polyamory.
Obwohl man, wenn man die Menschen direkt danach fragt, den Eindruck haben könnte, dass die monogame Zweierbeziehung das Non-plus-ultra der Liebe sei, sieht die Realität bekanntermaßen anders aus. Viele finden sich ab mit dem Konflikt zwischen Lust und Moral, dem Entscheidungszwang zwischen "freiem aber einsamen Single-Leben" und "geborgener aber einschränkender Beziehung" oder der Entscheidung zwischen zwei möglichen PartnerInnen, für die man beide Gefühle hat. In der gegenwärtig etablierten Doppelmoral (sexuelle Freiheit als Single auf der einen, aber ein extrem konservatives und restriktives Beziehungsbild auf der anderen Seite) macht sich nicht selten eine emotionale Orientierungslosigkeit bzw. starke innere und äußere Konflikte breit. Die Zahl der Menschen, die auf der Suche nach einer Alternative sind, steigt... .

Polyamory bezeichnet die Einstellung bzw. die Praxis, zu mehreren Menschen eine (wie auch immer geartete) Liebesbeziehung zu führen, in vollem Wissen und Einverständnis aller Beteiligten. Ein Konzept, das keineswegs so neu ist, wie manche Medien uns glauben machen wollen. Polyamory ist auch längst kein reines Randphänomen in fernöstlich-spirituellen Kreisen, der linksradikalen und libertären Szene, in Foren sex-positiver Feministinnen oder Teilen der PickUp&Seduction-Community mehr. Zumindest die Kunde, wenigstens ein Geflüster, dass es da so etwas gibt, ist in der Mitte der Gesellschaft angekommen. Auch wenn den meisten Menschen das Verständnis dafür fehlt und aufgrund dessen und aus psychologischen Schutzmechanismen heraus ("Wie können die es wagen, das Primat der Zweierbeziehung infrage zu stellen?") Vorurteile an der Tagesordnung sind.

Ich selbst lebe seit einigen Jahren offen bzw. polyamor. Als ich mich damals aus Neugierde (und bisheriger Unzufriedenheit) auf dieses Abenteuer einließ, hätte ich mir kaum vorstellen können, dass dieses Modell des Zusammenlebens sich zwar langsam und oft unbemerkt, aber stetig verbreitet. Aus der anfänglichen Skepsis oder gar Ablehnung meines persönlichen Umfelds wurde im Laufe der Zeit Neugierde, Akzeptanz und Wohlwollen - teilweise soweit, dass einige ebenfalls begannen, offene und polyamore Beziehungen zu führen oder dies zumindest in Erwägung zogen.
Letztes Jahr (2012) ging es los, dass ich die ersten Interviews zu dem Thema gab und als Referent zu Diskussionsveranstaltungen eingeladen wurde. Das Thema ist so vielschichtig und umfassend, dass ein Interview oder ein Vortrag nicht ausreicht, um wirklich in die Tiefe zu gehen. Eine kurze Zeit lang dachte ich daran, ein Buch zu schreiben, doch Liebe im Allgemeinen und Polyamory im Speziellen nur theoretisch zu beleuchten oder den aktuellen Entwicklungsstand der persönlichen Erfahrungen zu einem zufällig gewählten Zeitpunkt als Maßstab zu setzen, würde der Sache nicht gerecht. Ganz abgesehen davon, dass Blogs heutzutage einfach leichter mehr Menschen erreichen :-).

Da es keine "polyamore" Norm gibt (abgesehen von ein paar grundsätzlichen ethischen Prinzipien wie beispielsweise Selbstbestimmung, Einvernehmlichkeit und Ehrlichkeit),  wäre es sehr einseitig, wenn ich ausschließlich meine eigenen Meinungen, Gefühle und Erfahrungen mit einfließen ließe. Daher wird es im Laufe der Zeit immer wieder Interviews und Erfahrungsberichte von anderen offen und polyamor l(i)ebenden Menschen geben.

Bevor hier Missverständnisse entstehen: Ich beabsichtige keineswegs, Polyamory als "einzig wahre Beziehungsform" darzustellen. Es geht mir vielmehr darum, die Akzeptanz und den Respekt vor unterschiedlichen Neigungen und Beziehungsformen zu stärken, auch wenn sie weder der gesellschaftlichen Norm noch dem eigenen Empfinden entsprechen. Solange du mit deiner sexuell und emotional ausschließlichen Zweierbeziehung glücklich bist (und dein/e PartnerIn das ebenfalls ist), gibt es keinen Grund, das zu ändern! Dennoch bin ich davon überzeugt, dass auch Menschen, die monogam leben und vorhaben dies auch weiterhin zu tun, viel für ihre Beziehung oder Ehe viel aus der polyamoren Lebensphilosophie mitnehmen können.

Egal, welches deine sexuellen Neigungen und Vorlieben und deine bevorzugte Beziehungsformen sind, bedenke:

Freiheit ist die Freiheit des Andersliebenden.

In diesem Sinne wünsche ich dir viel Spaß beim Lesen und Kommentieren.