Dienstag, 12. November 2013

"Aber wenn man jemanden WIRKLICH liebt..." - die Unsinnigkeit des Ausschließlichkeitsdenkens

Irgendwie ist das Polydingsda ja schon ganz nett. Unter manchen Aspekten. Für manche Menschen. Manchmal. Aber dann kommt der alles entscheidende Einwand: "Wenn man jemanden WIRKLICH liebt, dann hat man gar kein Bedürfnis nach anderen."

Wer genau hat eigentlich die Deutungshoheit darüber, was "wahre" und "unwahre" Liebe sein sollen? Wo der Monogamist davon spricht, dass es doch keine echte Liebe sein könne, wenn man andere begehrt oder wenn es einem nichts ausmacht, dass der Partner weitere Partner hat, könnte der Polyamorist entgegnen, dass es ja keine wahre Liebe sein könne, wenn man den Partner so wenig liebt, dass man ihm keinen weiteren sexuellen Spaß sowie Liebschaften und emotionale Bindungen gönnt. Wenn ich jemanden mag oder liebe, dann gönne ich dieser Person alles erdenklich Gute. Warum soll die Mitfreude denn im Schlafzimmer oder im Herzen plötzlich nicht mehr vorhanden sein?

In Was ist eigentlich Liebe? habe ich ein Modell des Psychologen Robert Sternberg vorgestellt, mit dem sich Liebe grob beschreiben und sich verschiedene Formen der Liebe unterscheiden lassen. Dabei geht es jedoch lediglich um den Schwerpunkt oder die Beschaffenheit der Liebe, nicht um eine Wertung in wahre und falsche oder gute und schlechte Liebe. So können wir natürlich romantische Liebe von kameradschaftlicher Liebe unterschieden (bei der kameradschaftlichen Liebe spielt die Leidenschaft eine geringe bis gar keine Rolle), ohne jedoch irgendeine dieser Formen als "wahrer" oder "unwahrer" als die andere zu bezeichnen (nach welchen Kriterien denn überhaupt?). Man kann sich Gefühle nicht einbilden, entweder man fühlt sie oder man fühlt sie nicht. Man kann sie nur unterschiedlich stark fühlen oder unterschiedlich interpretieren. Natürlich können sich Gefühle im Laufe der Zeit auch ändern, sowohl zum positiven als auch zum negativen für die Betroffenen.

Im Falle der Freundschaft oder familärer Liebe wenden Monogamisten dieses Kriterium übrigens nicht an. Selbst der frömmste Moralist würde nicht auf die Idee kommen zu behaupten, dass man seine Mutter nur dann wirklich lieb haben könnte, wenn man den Vater nicht lieb hat (wir sprechen hier von familiärer Nähe und Bindung, Ödipus und Freud lassen wir an dieser Stelle mal außen vor). Auch würden die wenigsten bestreiten, dass es sehr wohl möglich ist, mehrere gute Freund*innen oder Kumpels zu haben.

Des weiteren stellt sich mir die Frage, warum sich viele Menschen (und Paare) so dermaßen verbohrt mit dem Thema der "Treue" (im Sinne von Ausschließlichkeit), Verboten in der Beziehung, Kontrolle über den Partner und Rachegelüste im Falle eines "Seitensprungs" auseinandersetzen, wenn doch angeblich gar kein Anlass dazu besteht. Wenn das Bedürfnis nach anderen gar nicht existieren kann, dann bräuchte man doch dieses repressive Regelwerk gar nicht. Andersherum: Wenn dieses Regelwerk notwendig ist und von vielen sogar als die Grundlage jedweder Beziehung betrachtet wird, dann ist das ein eindeutiger Hinweis darauf, dass eben doch ein Bedürfnis nach Freiheit, Abwechslung und/oder Nähe zu anderen Menschen besteht. Hier würden die meisten monogamen Menschen einwenden, dass man eben Kompromisse eingehen muss in Beziehungen. Ganz ehrlich: Ich will nicht, dass meine Beziehungen nur Kompromisse sind oder nur das "kleinere Übel". Denn wenn man in solchen grundlegenden Belangen wie Freiheit Kompromisse eingeht, dann fängt man an sich zu verbiegen - und das kann doch wohl kaum der Sinn einer Beziehung sein. Wenn man sich sicher ist, nie das Bedürfnis nach Abwechslung zu haben, dann verzichtet man allerdings zugegebenermaßen auch auf nichts. Wie gesagt würden in diesem Fall jedoch all die Ausschließlichkeitsregeln obsolet.

Der absurdeste Widerspruch in dieser Sichtweise ist jedoch das Kriterium, nach welchem man beurteilen möchte, das (wahre) Liebe ist. Es ist dieser Aussage zufolge nur dann Liebe, wenn man sonst keine andere Person liebt oder begehrt. Das heißt, man definiert die Liebe nicht über die Gefühle, die man zu einer Person hat, sondern darüber, welche Gefühle man für andere Personen nicht hat. Ausschlaggebend sei also nicht die Anwesenheit, sondern die Abwesenheit von Gefühlen. Ist das nicht ein ziemlich liebloser Ansatz?