Sonntag, 21. April 2013

Polyamory - Einleitung

Ein Gespenst geht um in den Herzen (und Schlafzimmern) der Menschen - das Gespenst von Polyamory.
Obwohl man, wenn man die Menschen direkt danach fragt, den Eindruck haben könnte, dass die monogame Zweierbeziehung das Non-plus-ultra der Liebe sei, sieht die Realität bekanntermaßen anders aus. Viele finden sich ab mit dem Konflikt zwischen Lust und Moral, dem Entscheidungszwang zwischen "freiem aber einsamen Single-Leben" und "geborgener aber einschränkender Beziehung" oder der Entscheidung zwischen zwei möglichen PartnerInnen, für die man beide Gefühle hat. In der gegenwärtig etablierten Doppelmoral (sexuelle Freiheit als Single auf der einen, aber ein extrem konservatives und restriktives Beziehungsbild auf der anderen Seite) macht sich nicht selten eine emotionale Orientierungslosigkeit bzw. starke innere und äußere Konflikte breit. Die Zahl der Menschen, die auf der Suche nach einer Alternative sind, steigt... .

Polyamory bezeichnet die Einstellung bzw. die Praxis, zu mehreren Menschen eine (wie auch immer geartete) Liebesbeziehung zu führen, in vollem Wissen und Einverständnis aller Beteiligten. Ein Konzept, das keineswegs so neu ist, wie manche Medien uns glauben machen wollen. Polyamory ist auch längst kein reines Randphänomen in fernöstlich-spirituellen Kreisen, der linksradikalen und libertären Szene, in Foren sex-positiver Feministinnen oder Teilen der PickUp&Seduction-Community mehr. Zumindest die Kunde, wenigstens ein Geflüster, dass es da so etwas gibt, ist in der Mitte der Gesellschaft angekommen. Auch wenn den meisten Menschen das Verständnis dafür fehlt und aufgrund dessen und aus psychologischen Schutzmechanismen heraus ("Wie können die es wagen, das Primat der Zweierbeziehung infrage zu stellen?") Vorurteile an der Tagesordnung sind.

Ich selbst lebe seit einigen Jahren offen bzw. polyamor. Als ich mich damals aus Neugierde (und bisheriger Unzufriedenheit) auf dieses Abenteuer einließ, hätte ich mir kaum vorstellen können, dass dieses Modell des Zusammenlebens sich zwar langsam und oft unbemerkt, aber stetig verbreitet. Aus der anfänglichen Skepsis oder gar Ablehnung meines persönlichen Umfelds wurde im Laufe der Zeit Neugierde, Akzeptanz und Wohlwollen - teilweise soweit, dass einige ebenfalls begannen, offene und polyamore Beziehungen zu führen oder dies zumindest in Erwägung zogen.
Letztes Jahr (2012) ging es los, dass ich die ersten Interviews zu dem Thema gab und als Referent zu Diskussionsveranstaltungen eingeladen wurde. Das Thema ist so vielschichtig und umfassend, dass ein Interview oder ein Vortrag nicht ausreicht, um wirklich in die Tiefe zu gehen. Eine kurze Zeit lang dachte ich daran, ein Buch zu schreiben, doch Liebe im Allgemeinen und Polyamory im Speziellen nur theoretisch zu beleuchten oder den aktuellen Entwicklungsstand der persönlichen Erfahrungen zu einem zufällig gewählten Zeitpunkt als Maßstab zu setzen, würde der Sache nicht gerecht. Ganz abgesehen davon, dass Blogs heutzutage einfach leichter mehr Menschen erreichen :-).

Da es keine "polyamore" Norm gibt (abgesehen von ein paar grundsätzlichen ethischen Prinzipien wie beispielsweise Selbstbestimmung, Einvernehmlichkeit und Ehrlichkeit),  wäre es sehr einseitig, wenn ich ausschließlich meine eigenen Meinungen, Gefühle und Erfahrungen mit einfließen ließe. Daher wird es im Laufe der Zeit immer wieder Interviews und Erfahrungsberichte von anderen offen und polyamor l(i)ebenden Menschen geben.

Bevor hier Missverständnisse entstehen: Ich beabsichtige keineswegs, Polyamory als "einzig wahre Beziehungsform" darzustellen. Es geht mir vielmehr darum, die Akzeptanz und den Respekt vor unterschiedlichen Neigungen und Beziehungsformen zu stärken, auch wenn sie weder der gesellschaftlichen Norm noch dem eigenen Empfinden entsprechen. Solange du mit deiner sexuell und emotional ausschließlichen Zweierbeziehung glücklich bist (und dein/e PartnerIn das ebenfalls ist), gibt es keinen Grund, das zu ändern! Dennoch bin ich davon überzeugt, dass auch Menschen, die monogam leben und vorhaben dies auch weiterhin zu tun, viel für ihre Beziehung oder Ehe viel aus der polyamoren Lebensphilosophie mitnehmen können.

Egal, welches deine sexuellen Neigungen und Vorlieben und deine bevorzugte Beziehungsformen sind, bedenke:

Freiheit ist die Freiheit des Andersliebenden.

In diesem Sinne wünsche ich dir viel Spaß beim Lesen und Kommentieren.

3 Kommentare:

  1. Dann will ich mal den ersten Kommentar verfassen. Bis vor wenigen Monaten kannte ich das Wort "Polyamory" gar nicht. Entsprechende Vorstellungen hatte ich schon viel früher. Dass es da so etwas wie eine Bewegung gibt, ist mir aber ziemlich neu. Irgendwie bin ich im Internet darauf gestoßen, weil ich jetzt in einer Situation bin, wo ich mich eigentlich entscheiden müsste, worauf ich aber eigentlich keine Lust habe. Es ist aber gar nicht so einfach. Ich befürchte die Ablehnung des größten Teils meiner Umgebung. Vielleicht könntest Du mal was über Deine Anfänge bloggen.

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  2. @ Anonym: Ich kann gerne mal was über meine Anfänge posten. Grundsätzlich sollte man sich wenn man auf Ablehnung stößt, nicht rechtfertigen. Verständnisfragen ehrlich beantworten, aber ungerechtfertigte Angriffe nicht ernst nehmen. Mit selbstbewusstem Auftreten, Gelassenheit und Humor kann man das schnell in den Griff bekommen. Oder einfach grinsend zustimmen. ("Du bist voll das Arschloch!" - "Ja, auf jeden Fall.") Viel Erfolg!

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  3. Heyhey... ich will mich doch auch einmal zu all dem hier äußern... Ich wusste zwar um das Konzept der Polyamorie, aber so etwas wie die Definition von Liebe von Robert Sternberg oder die Tatsache, dass diese Form der Liebe immer häufiger wird, bzw. wohl eine echte Alternative darstellten kann, waren mir nicht bewusst. Ich finde deine Schilderungen sehr interessant und sie machen Mut - in gewisser Hinsicht. Ich wollte mal fragen, wie du es "geschafft" hast, damit anzufangen... den Mut aufzubringen, mit Freunden und Bekannten darüber zu reden... weil ich derzeit in einer Situation bin, die mich sehr beschäftigt und vor (in meinen Augen) schwere Entscheidungen stellt... und zwar bin ich seit knapp 1 1/2 Jahren in einer Beziehung, empfinde aber (so sehe ich es nach fast einem Jahr in dem sich das immer weiter hochgeschaukelt hat) auch für eine andere Person aus meinem Freundeskreis "mehr" als "nur Freundschaft". Nun ist es jedoch keineswegs so, dass ich meine Freundin nicht mehr lieben würde... aber ich zerbreche momentan an den Zweifeln und dem Druck, den diese Gefühle auf mich ausüben... liebe ich vllt. keine von beiden? Oder ist es tatsächlich so, dass ich beide lieb? Wie kann ich versuchen, dass festzustellen?
    Anyway... danke, dass du hier +ber dein Leben erzählst. Zumindest habe ich dadurch auf all das eine neue Perspektive gewonnen!

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