Samstag, 11. Mai 2013

Rock gegen Sexismus und Homophobie

Noch immer herrschen diverse Vorstellungen davon, was ein "echter Mann" oder eine "echte Frau" sein soll. Vom Sozialverhalten über Berufsbilder bis hin zu so simplen und an sich unbedeutenden Dingen wie Kleidung. Sobald man - was letztgenanntes betrifft - gegen die Norm verstößt, kann es zu seltsamen Reaktionen der Mitmenschen kommen, schlimmstenfalls bis hin zu offener Diskriminierung oder gar Gewalt. Es lässt sich damit aber auch jede Menge Spaß haben... .

Treffe mich mit einer Freundin in Tübingen. Die Zugfahrt ist unspektakulär (zu dem Zeitpunkt trage ich noch Jeans). Am Tübinger Bahnhof lerne ich kurz ihren neuen Freund kennen. Sympathischer Kerl. Nachdem er sich verabschiedet hat, gehen Alice und ich erstmal Richtung Subway - ich habe Hunger. Blöderweise nehmen sie keine EC-Karten-Zahlung an. Also kurz zur Bank schräg gegenüber. Von den beiden Geldautomaten funktioniert nur einer, und der spuckt als kleinsten Schein 50-Euro aus. Ist das die Zukunft des Euro, dass man irgendwann nur noch große Scheine abheben kann, und wer Ende des Monats nicht mehr genug auf dem Konto hat, hat Pech gehabt? Zurück zu Subway und gegessen. Anschließend auf die Toilette. Ziehe mir einen recht kurzen, roten Lackrock an, den ich die Woche zuvor in Stuttgart gekauft hatte, und darunter auch ein weibliches Unterwäscheteil (das zumindest ausreichte, um die Stellen zu bedecken, die man in der Öffentlichkeit bedecken sollte). Oben trage ich schon die ganze Zeit über ein T-Shirt mit der Aufschrift "Gottlos glücklich", an welches ein Hammer-und-Sichel-Button gepinnt ist. Insgesamt nun also ein Outfit das auf unterschiedlichen Ebenen (nämlich oberhalb und unterhalb der Gürtellinie) zur Provokation geeignet ist. Wozu das ganze? In erster Linie aus Spaß. Doch abgesehen davon kann es nicht schaden, auch mal bewusst gegen Normen zu verstoßen, um die Sensibilität der Menschen auf den Prüfstand zu stellen und zu schärfen. Wenn du heute als Mann mit einem "weiblichen" Rock rumläufst, dann wirst du zumindest angestarrt. Mir persönlich macht das nichts aus, aber gilt das auch für Menschen, die zum Beispiel biologisch männlich sind, jedoch das soziale weibliche Geschlecht annehmen und sich auch entsprechend kleiden? Für sie ist es eine Frage der Identität und nicht einfach nur eine spaßige Aktion. Doch was wenn nun immer mehr Menschen von der herkömmlichen Norm abweichen? Wenn du jeden Tag Männer in Röcken sehen würdest, dann würdest du nach einiger Zeit nichts mehr daran komisch finden - und aufhören zu starren.

Nachdem wir uns beim Rewe ein paar Bier besorgt haben, laufen Alice und ich Richtung Eberhardsbrücke. Sie kichert unentwegt. Ich frage sie irgendwann, was denn los wäre. Sie meint: "Die Leute, wie sie gucken!" War mir gar nicht aufgefallen. Ich achte nun bewusst darauf und stelle nun ebenfalls ein sehr amüsantes Verhalten der Menschen die uns entgegen kommen fest. Ein kurzes Starren, dann den Blick woanders hin gerichtet, und kurz bevor man ihrem Blickfeld entschwindet noch einmal ein prüfender Blick, ob sie auch wirklich richtig gesehen haben. Ein paar ältere Menschen werfen mir auch böse Blicke zu, als wir an ihnen vorbei laufen. Ich grinse sie an und laufe weiter. Auf der Flussinsel setzen wir uns auf eine Bank. Die jungen Frauen an denen wir vorbei laufen, kichern. Alice beginnt, mich ab nun mit Olivia anzusprechen. Im Gegenzug nenne ich sie Günter. Zunächst bleiben die Reaktionen der Leute verhalten. Als wir nochmals Biernachschub holen, kommt uns eine Gruppe "halbstarker" Jungs entgegen. So Marke Ende Pubertät. Sie glotzen einigermaßen blöd aus ihrer betont maskulinen Wäsche, ich höre Kommentare wie "Ey Alter, guck mal den!". - "Und trotzdem hab ICH ne Frau dabei", entfährt es mir halblaut (ja ich weiß, voll heteronormativ und so).

Wir sitzen nun wieder auf einer Bank. Zwei Inder (ich vermute mal, dass es Inder waren) laufen an uns vorbei und werfen uns neugierige Blicke zu. Sie drehen sich nochmals zu uns um und grinsen. Ich werfe ihnen einen Handkuss zu, sie erwidern die Geste. Sie kommen zurück, geben Alice und mir grinsend die Hand. Einer von ihnen packt plötzlich ein Bündel Bananen aus seiner Tasche und überreicht uns jeweils eine. Sie verabschieden sich von uns und gehen. Nachdem wir uns von unserem Lachanfall erholt haben, machen wir uns erstmal Gedanken darum, wo wir uns die Bananen am besten hinstecken. Wir entscheiden uns dann doch für die traditionelle Variante: Einfach essen. Natürlich nicht ohne entsprechend andeutende Bewegungen zu machen... .

An den Wortlaut unserer Unterhaltung kann ich mich nicht mehr exakt erinnern. Eine perverse Zweideutigkeit folgte der anderen. Meine Bauchmuskeln schmerzen irgendwann vor lauter Lachen.

Ein junger Mann aus Montenegro spricht uns ebenfalls an. Er heißt Remis. Er fragt mich, ob ich homosexuell sei. Irrtümlicherweise konstruieren viele Menschen einen Zusammenhang zwischen Homosexualität bei Männern und weiblichem Verhalten. Er meint es aber keineswegs böse, sondern scheint neugierig. Ich kläre ihn auf. "Du bist ja geil drauf", meint er. Es stellt sich heraus, dass er zum einen in derselben Gegend wohnt wie Alice, zum anderen auch eher der Typ für offene Beziehungen ist. Blöd für Alice, dass sie gerade am Beginn einer wohl eher monogamen Beziehung steht. Wir unterlassen es natürlich nicht, sie damit aufzuziehen, wie schön es doch wäre, wenn wir uns jetzt zu dritt ein Hotelzimmer nehmen würden... . Wir quatschen über Gott und die Welt, von Sex und Beziehungen anfangen bis hin zur Asylpolitik der Bundesrepublik Deutschland. Remis wiederholt des öfteren die Aussage: "Du bist echt geil drauf."

Später laufen wir zurück zum Bahnhof, Alice in der Mitte, mit uns beiden Händchen haltend. "Boah, die halten mich hier alle bestimmt voll für ne Schlampe", meint sie. "Aaach, die gucken doch eh alle nur MIR hinterher", tröste ich sie. Am Bahnhof verabschieden wir uns herzlich.

Im Zug werde ich plötzlich müde. Ich döse vor mich hin, werfe aber, wenn Leute einsteigen kurz einen Blick in den Gang. Man weiß ja nie, zumal ich ja nun alleine unterwegs bin. Schon fast zurück in Stuttgart, spricht mich ein junger Mann an. "Sag mal...warum machst du das? Warst du mal ne Frau?" Was für eine Schlussfolgerung! Ich antworte wahrheitsgemäß: "Nicht dass ich wüsste. Ist einfach nur aus Spaß." Er findet es super und fragt mich, ob er ein Foto machen darf. Ich habe nichts dagegen. Wir unterhalten uns kurz, er geht dann in Richtung "was essen holen", ich zur S-Bahn. Dort sitzt mir eine junge Frau gegenüber, die mich immer wieder verstohlen anschaut. Wir wechseln ein paar freundliche Worte, dann steige ich in Ludwigsburg aus und laufe Richtung Bus. Am Bahnhofseingang stehen zwei Männer und eine Frau, vermutlich südländisch. Ich bin schon längst an ihnen vorbei gelaufen, da ruft sie mir irgendwas hinterher. Ich bleibe stehen und drehe mich um. Sie ruft wieder. Ich laufe zurück. "Was hast du denn da an?", fragt sie mit einer Mischung aus Neugierde und Skepsis. "Nen Rock, wie du siehst", sage ich. Sie mustert mich noch immer mit einem "Ich weiß nicht was ich davon halten soll"-Blick. "Sieht doch geil aus, oder?", füge ich hinzu. Einer der Typen ist auf mein "Gottlos glücklich"-T-Shirt aufmerksam geworden. "Bist Atheist?" - "Ja klar!" - "Ich auch." Er hält mir die Hand zum Einschlagen hin. Wir klatschen ab. Dann verändert sich sein Gesichtsausdruck. "Blöde Schwuchtel". Ich überhöre es, wünsche ihnen noch einen schönen Abend und spaziere zur Bushaltestelle.

Fazit: Homophobie und starres Geschlechterrollendenken ist durchaus noch vorhanden in unserer Gesellschaft, wenn auch vermutlich weniger ausgeprägt als früher. Die meisten Reaktionen sind eher neutral. Interessanterweise stammten die ausdrücklich positiven Reaktionen von Menschen aus anderen Kulturkreisen, die eher negativen Reaktionen kulturunabhängig, oder eben von älteren Menschen. Was mich sehr freut ist, bei der Aktion die Bekanntschaft eines sehr aufgeschlossenen und sympathischen Menschen gemacht zu haben (Remis). Über die politisch-gesellschaftliche Wirksamkeit solcher Aktionen mag man sich streiten, doch allein fürs Menschen kennen lernen und für den Spaß den wir dabei hatten, lohnt es sich.

PS.: Sei ehrlich! Du hast beim Lesen der Überschrift mit einem Bericht über ein Rockkonzert gerechnet.

2 Kommentare:

  1. Gratulation zu dieser Aktion! Ich hätte aber Angst, mit einem Rock ganz schlimme Begegnungen zu haben. Mit der Beleidigung "Blöde Schwuchtel" kann man irgendwie umgehen. Was ist aber, wenn Leute körperlich aggressiv werden?

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  2. Ist mir bisher nicht passiert. Ich würde in so einem Fall je nach Situation entweder versuchen beruhigend auf die aggressive Person einzuwirken oder den Spieß einfach umdrehen. Angenommen jemand fängt an körperlich aggressiv zu werden. "Hey, hör auf mich zu begrabschen! Ich kann ja verstehen dass du auf mich stehst, aber dafür ist es einfach noch zu früh... ." Homophobe Menschen haben meistens die größte Angst davor, für homosexuell gehalten zu werden. Daher dürfte das seine Wirkung nicht verfehlen.

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